Ausschluss der Öffentlichkeit:  nach wie vor ein heißes Eisen

Die Gemeindevertretung und ihre Ausschüsse tagen öffentlich.
Das ist richtig und wichtig, denn es ist ein tragender Grundsatz unserer Demokratie, dass die politischen Beratungs- und Entscheidungsgremien sich der Öffentlichkeit stellen.
Der  führende und allseits als verbindlich anerkannte Kommentar von Dehn  und Wolf zum schleswig-holsteinschen Gemeinderecht drückt das so aus: „Ziel des Öffentlichkeitgebotes ist, Einblick in die Tätigkeit der Gemeindevertretung zu geben, damit deren Arbeit gewürdigt und kontrolliert werden kann.“
Soweit die politisch/juristische Theorie. Die Wirklichkeit ist demgegenüber leider eher ernüchternd: Die Gemeinde-Öffentlichkeit ist kaum sichtbar, die Besucherplätze bleiben meist weitgehend leer. Es bleibt also andauernde Aufgabe unserer Gemeindegremien, ihre Sitzungen so zu gestalten, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger Interesse entwickeln und kommen und so die „Öffentlichkeit“ bilden.
Die Öffentlichkeit auf den Zuschauerplätzen erwartet allerdings ab und zu  auch ein Ereignis, das zunächst befremdlich  wirkt: der Ausschluss der Öffentlichkeit bei bestimmten Punkten per Mehrheitsbeschluss der Gemeindevertretung oder des Ausschusses.
Nanu, so mag man da denken, was wollen die da hinter verschlossenen Türen ausmauscheln?
Aber weit gefehlt: Der Ausschluss der Öffentlichkeit an sich ist nichts Verdächtiges, sondern im Gegenteil gesetzlich vorgeschrieben unter bestimmten Umständen; nämlich dann, wenn eine öffentliche Beratung gegen übergeordnetes Gemeinwohl oder gegen „berechtigte“ private Interessen verstoßen würde. In § 35 unserer Gemeindeordnung ist das so festgelegt: „Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn überwiegende Belange des öffentlichen Wohls oder berechtigte Interessen Einzelner es erfordern.
Das klingt klar und präzise. Aber in der praktischen Umsetzung birgt dieser Gesetzestext viele Konfliktpunkte, die uns auch in unserem Dorf jetzt und in Zukunft beschäftigen. Fünf solcher Stolpersteine sind hier aufzuzählen:

1. Begründung:
Bei einer Beschlussfassung muss der Öffentlichkeit verständlich dargelegt werden, aus welchen Gründen die vertrauliche Beratung geboten ist." (Dehn). Und das gilt nicht nur für die Öffentlichkeit: Gerade die Mitglieder der Gemeindevertretungen und ihrer Ausschüsse haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich möglichst schon im Vorfeld der Sitzungen über die Gründe zu informieren, die ihnen eine so schwerwiegende Entscheidung abverlangen sollen. Diese Gründe müssen also möglichst vor der Sitzung, jedenfalls aber zu Sitzungsbeginn öffentlich und unaufgefordert mitgeteilt werden.

2. Keine Pauschalisierung:
Die Begründung für den Ausschluss der Öffentlichkeit muss sich auf die zu verhandelnde Sache konkret beziehen. Ein pauschaler Hinweis, z.B. „Bauangelegenheiten“, ist jedenfalls als Begründung keinesfalls hinreichend.
In jedem Fall hat die Gemeindevertretung /der Ausschuss nicht nur zu prüfen, ob solche Gemeinwohl- oder Privatinteressen vorliegen, sondern hat sie abzuwägen gegen das Interesse der gemeindlichen Öffentlichkeit, mitzubekommen, ob und inwieweit ein vorliegender Antrag öffentliche Belange berührt.
Ein Bauantrag z.B. kann die Frage mit sich bringen, ob ein bestehender Bebauungs-Plan eingehalten wird; ein Antrag auf Flächennutzungsplan-Änderung kann evtl. im Widerspruch stehen zu Überlegungen für die Dorf-Entwicklung; eine mögliche Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechtes kann die Gemeinde in die Schuldenfalle locken. Bei allen solchen und ähnlichen Fällen besteht unabweisbares öffentliches Interesse daran, mitzuverfolgen, welche erwünschten oder unerwünschten Folgen die Entscheidung über einen Antrag hat. Also ist es nicht im Sinne des Gesetzgebers, diesen ganzen Abwägungs- und Entscheidungsvorgang vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Laut Dehn-Kommentar „ist die weit verbreitete Annahme, Grundstücksangelegenheiten … seien stets nicht öffentlich zu behandeln, nicht korrekt. … Allein die Qualifizierung einer Angelegenheit in der Tagesordnung (z.B. als 'Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens‘) berechtigt nicht zum Ausschluss der Öffentlichkeit.“

3. Zugelassener Personenkreis
Nach geltendem Recht dürfen auch stellvertretende bürgerliche Ausschussmitglieder, die als Gäste anwesend sind, beim nichtöffentlichen Teil der Sitzung dableiben – das wird aber in der Praxis immer wieder mal bestritten.

4. Protokollierung und Veröffentlichung der Beschlüsse
Auch die in nicht öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse müssen protokolliert und mit dem Protokoll veröffentlicht werden. Leider kommt es aber immer wieder vor, dass diese Beschlüsse im Protokoll nur in sehr allgemeiner Form erwähnt werden und für einen Unbeteiligten nicht einmal detektivische Fähigkeiten ausreichen, um herauszubekommen, was wie entschieden wurde. Z.B. in unserer Gemeindevertretung: Es „gelten die im nichtöffentlichen Teil gefassten Beschlüsse zu TOP … durch die Veröffentlichung des Protokolls dieser Sitzung im Internet als bekannt gegeben“ (1.10.2024).

5. Ausschluss der Öffentlichkeit: keine Ermessensentscheidung
Es klingt wie eine juristische Spitzfindigkeit, ist aber sehr wichtig: Die Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit ist nicht ins Ermessen der Abstimmenden gestellt, sondern an die genannten objektiven Kriterien gebunden. Auch dies wird im Eifer der Diskussionen hin und wieder übersehen. Insbesondere zu beachten ist hier ein Kernsatz aus dem schon zitierten Dehn-Kommentar: „Dagegen ist es unzulässig, Tagesordnungspunkte oder Teile davon nicht öffentlich zu beraten, nur weil eine öffentliche Beratung für einzelne Organe oder deren Mitglieder unangenehm wäre oder zu politischen Konsequenzen für sie führen könnte.
DORFleben wird sehr darauf achten, dass mit diesen fünf Stolpersteinen achtsam umgegangen wird.

Wolfram Bundesmann

Dieser Beitrage erscheint in der Dorfzeitung Anfang Dezember 2024.